Der Schmetterling in uns
Einen Moment bitte
Ich kenne Herrn Kern schon lange. Wegen einer Augenerkrankung muss er zur Operation in eine Berliner Klinik. Alles verläuft gut, er wird entlassen. Einige Wochen später hat er Beschwerden am Fuß. Er sucht einen Arzt in seiner Heimatstadt auf. Die Mitarbeiterin will die Karte der Krankenkasse einlesen. Das funktioniert nicht. Herr Kern solle sich an die Krankenkasse wenden. Da deren Filiale nicht weit weg ist, humpelt er hin. Der Mann von der Krankenkasse tippt die Daten von Herrn Kern ins System ein.
„Oh“, sagt er nach einer Weile, „der Herr Kern ist tot.“ Hier“, er dreht den Monitor zu Herrn Kern hin, „da steht: Tot gemeldet von der Klinik XY in Berlin am XY.“ Es ist der Tag, an dem Herr Kern aus der Klinik entlassen wurde. „Ich bin aber nicht tot“, sagt er. Ein paar Tage später merkt er, dass seine Rente ausbleibt. Auch dort erfährt er, dass er tot ist. Die Klinik habe das so mitgeteilt. Er wendet sich an die Klinik: „Es ist schon gruselig! Wie kann es sein, dass jemand ohne Totenschein aus dem System fliegt?“
Vor zweitausend Jahren ist Jesus auch aus dem System geflogen. Im Unterschied zu Herrn Kern war Jesus wirklich tot. Hingerichtet. Beigesetzt in einem Felsengrab. Dann erscheint er wieder seinen Anhängern. Tot zu sein, und trotzdem zu leben. Das ist Ostern. Kaum zu glauben, oder?
Jesus muss beweisen, dass er lebt. Er hat es ja vorausgesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; 2und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ (Joh 11,25f.). Menschen damals in Jerusalem und auf dem Weg nach Emmaus haben das Gefühl: Der gerade gekreuzigte Jesus ist jetzt wieder mitten unter uns. Das ist das Entscheidende: Dieses erlösende Gefühl! Diese Wärme im Herzen! Dieser Seufzer der Befreiung! Es geht irgendwie weiter! Gott lässt mich nicht im Stich!
Millionen und Abermillionen haben seitdem die tiefe, bewegende Nachricht von Ostern erlebt: Der Tod kann dir wehtun. Aber er hat nicht das letzte Wort. Du wirst trotzdem leben. In dieser Welt. Und irgendwann, im Tode, auch in einer anderen Welt. Wie auch immer das aussehen wird. Die Natur wird zu einem Gleichnis. Ein Samenkorn muss in der Erde vergraben sein, damit daraus Krokusse und Osterglocken erblühen. Schon in dieser Welt, in unserem Leben stirbt so manches ab: Eine Beziehung, die uneingeschränkte Gesundheit, der Lebensmut. Wir verlieren die Zuversicht. Unsere Psyche ist dann wund. Das griechische Wort Psyche bedeutet Seele, aber auch Schmetterling. Gott wohnt in uns, wie Meister Eckhart sagt. Gott behütet unsere Seele. Wir können auch sagen: Gott ist der Schmetterling in uns. Mit ihm hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen wir all das Gute und Schöne, was das Leben trotz allem bereithält. Lassen wir Gott, den Schmetterling in uns, zu wenig fliegen? Nur wenn wir verliebt sind, gestehen wir uns Schmetterlinge im Bauch zu. Ostern und Pfingsten sagen uns: Gott lebt. In dir, mit dir, für dich. Lass ihn in dir wirken. Lass den Schmetterling fliegen. So viele schöne Blumen hält das Leben für dich bereit. Lebe! Lache! Liebe!
Felix Leibrock, Geschäftsführer, Pfarrer, Autor